Mangelernährung bei Krebspatient:innen

MANGELERNÄHRUNG BEI KREBSPATIENT:INNEN: URSACHEN UND EMPFEHLUNGEN

Warum kommt es bei Krebspatient:innen so häufig zu einer Mangelernährung?

Die Prävalenz von Mangelernährung bei Krebspatient:innen liegt zwischen 20 und 60%, ein erschreckend hoher Anteil 1. Die Gründe für eine Mangelernährung bei Krebspatient:innen sind vielfältig. Hauptsächlich entsteht das Ungleichgewicht zwischen Soll und Ist der Energie- und Nährstoffzufuhr dadurch, dass der Stoffwechsel auf sehr hohen Touren läuft, so dass es schwierig ist, den Nährstoffbedarf mit Hilfe normaler Lebensmittel ausreichend zu decken. Hinzu kommen weitere Faktoren wie Appetitlosigkeit, Übelkeit, Geschmacksstörungen und
Verdauungsprobleme durch Medikamenteneinnahme sowie die fehlende Zeit aufgrund von zahlreichen therapeutischen Maßnahmen für Einkauf, Zubereitung und Mahlzeiteneinnahme. Die Verwendung von schnell und allzeit leicht verfügbarer Trinknahrung kann diese Lücke schließen. Denn Gewichtsverlust ist mit einer eingeschränkten Lebensqualität und mit einem schlechteren Krankheitsverlauf assoziiert2.

Ernährung stellt eine wichtige Säule beim Management einer Krebserkrankung dar. Ein guter Ernährungsstatus und die bedarfsgerechte Zufuhr aller Nährstoffe ist für den Stoffwechsel eine Voraussetzung, dass die Basisfunktionen wie Zell- und Muskelaufbau, Immunsystem, Bildung von Hormonen und weiteren Botenstoffen, aufrechterhalten werden können. Ein guter Ernährungszustand bedeutet weniger medizinische Komplikationen mit Auswirkungen auf Krankenhausaufenthaltsdauer, ein geringerer Einsatz therapeutischer Maßnahmen und eine bessere Überlebenschance für die Patient:innen. Somit ist die zielgerichtete Verwendung von Trinknahrung bei Krebspatient:innen kosteneffizient und budgetentlastend.

Wie hoch ist Energie- und Proteinbedarf bei Krebspatient:innen?

Bei manifesten Krebserkrankungen besteht häufig ein systemisches Inflammationssyndrom mit Auswirkungen auf den Protein-, Kohlenhydrat- und Lipidstoffwechsel der Leber und der peripheren Organe. Eine Ernährungstherapie soll eingesetzt werden, um den Ernährungszustand, die körperliche Leistungsfähigkeit, den Stoffwechsel, die Verträglichkeit antitumoraler Therapien, die Lebensqualität und den Erkrankungsverlauf zu verbessern oder zu stabilisieren. Die Zufuhr an Energie und essenziellen Nährstoffen sollte sich am individuellen Bedarf des Krebspatient:innen orientieren und möglichst nicht über- oder unterschritten werden. Die angemessene Tagesenergiezufuhr liegt in der Regel bei 25-30 kcal/kg Körpergewicht und beträgt zur Stabilisierung des Körpergewichts nur äußerst selten mehr als 30 kcal/kg. Die empfohlene Proteinzufuhr liegt zwischen 1,2 und 1,5 g/kg Körpergewicht, bei ausgeprägter Inflammation kann sie auch auf 2 g/kg Körpergewicht ansteigen2

Welche Krebspatient:innen profitieren von Trinknahrung?

Prinzipiell kann und sollte jeder/jede Krebspatient:in, der es nicht schafft, mit Hilfe normaler Lebensmittel seinen Bedarf an Energie und Nährstoffen zu decken, Trinknahrung verwenden. Besonders sinnvoll ist die Verwendung von Trinknahrung bei Patient:innen mit Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich, um den Energiebedarf zu sichern, das Gewicht zu verbessern und eine Unterbrechung der Bestrahlung zu verhindern (Empfehlung 31, DGEM-Leitlinie Onkologie) 2. Auch vor großen chirurgischen Eingriffen sollten Patient:innen mit Mangelernährung eine Trinknahrung erhalten3. Da die postoperative Fortsetzung der Verwendung von Trinknahrung mit einem geringeren Gewichtsverlust einhergeht, kann der Einsatz von Trinknahrung je nach Ernährungsstatus auch postoperativ äußerst sinnvoll sein.

Gibt es bestimmte Nährstoffe, die bei einer Krebserkrankung supplementiert werden sollten?

Bei Krebspatient:innen sollte darauf geachtet werden, dass eine ausreichende Zufuhr von Protein, Vitaminen und Mineralstoffen gesichert ist. Es wird immer wieder diskutiert, inwieweit spezielle Vitamine, vor allem Antioxidantien wie beispielsweise Vitamin E im Rahmen der Therapie sinnvoll sein können. Allerdings lässt sich nach wie vor aus den vorhandenen Daten keine Empfehlung für eine Zufuhr ableiten, die die „normalen Ernährungsempfehlungen“ zur bedarfsgerechten Vitamin-/Mineralstoffzufuhr überschreiten 2. Empfehlenswert ist, eine Statusbestimmung durchzuführen, um einen bestehenden Mangel erkennen zu können. Dann macht es Sinn, gezielt eine sinnvolle Dosierung festzulegen und bedarfsgerecht zu supplementieren. Fragen Sie Ihre Patient:innen gezielt nach der Verwendung von Vitaminen/Mineralstoffen, da Patient:innen Nahrungsergänzungsmittel häufig bei einer Nachfrage nicht erwähnen. Dennoch ist es wichtig, darüber informiert zu sein, da unerwünschte Wechselwirkungen zwischen Nährstoffen und der Krebstherapie auftreten können.

Eine Ausnahme stellt die Supplementierung von Fischöl bzw. den darin enthaltenen langkettigen omega-3-Fettsäuren EPA/DHA dar. Patient:innen mit Tumorkachexie kann die langkettige omega-3-Fettsäure EPA in einer täglichen Dosierung von 1,5 – 2,5 g zur Verbesserung der systemischen Inflammation empfohlen werden2.

Zusätzliche Tipps zur Gewichtszunahme

Aufgrund der besonderen Stoffwechselsituation und den Nebenwirkungen der zahlreichen Therapien fällt es vielen Patient:innen schwer, ausreichende Energie aufzunehmen. Pauschale Empfehlungen können nur der Orientierung dienen. Im Endeffekt sollte jeder Betroffene für sich herausfinden, wie er/sie es schaffen kann, sich gut mit Energie und Nährstoffen zu versorgen. Empfehlenswert ist, sich Unterstützung bei einer Ernährungsfachkraft zu holen, die sich mit der Thematik auskennt. Dennoch haben wir zur Inspiration nachfolgend ein paar Tipps zusammengestellt, die Sie Ihren Patient:innen mit auf den Weg geben können:

  • Trinknahrung nicht auf einmal trinken, sondern in kleinen Portionen
  • Hohe Abwechslung schaffen (verschiedene Geschmacksrichtungen und Konsistenzen)
  • Neues ausprobieren: Lassen Sie sich immer mal wieder inspirieren, was Ihnen Lust macht
  • Normale Speisen zusätzlich anreichern mit Trinknahrung, speziellen Nährstoffpulvern oder auch mal mit Sahne/Creme fraiche, Nüssen/Nussmus, Trockenfrüchten oder pflanzlichen Ölen
  • Keine kalorienreduzierten Lebensmittel wählen, sondern die fettreichen Produkte wie Käse mit hoher Fettstufe, griechischer Joghurt, Sahnequark
  • Unverträgliche Speisen weglassen
  • Appetit anregen mit Säften, bitterstoffhaltigen Tees, Getränken, Gewürzen und Salaten (Achtung: Verträglichkeit mit kleinen Portionen testen)
  • Testen Sie persönlich aus, was Ihnen guttut und auf was Sie Appetit haben
  • Viele kleine statt wenige große Mahlzeiten
  • Es gibt kein Richtig oder Falsch: auch eine Gemüsesuppe zum Frühstück oder ein Snack während der Nacht kann schmecken, wenn Sie Appetit darauf haben
  • Auch Getränke können energiereich sein (Shakes, Smoothies, Kakao)
  • Schaffen Sie eine angenehme Ess-Umgebung und richten Sie Ihre Speisen appetitlich an

Quellen:

  1. Hauner H et al. Häufigkeit eines Risikos für Mangelernährung bei Patient:innen in onkologischen Schwerpunktpraxen – eine Querschnittserhebung
    Dtsch Med Wochenschr 2020; 145: e1–e9, doi 10.1055/a-1008-5702
  2. Arends J et al.: S3-Leitline der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM) in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie e. V. (DGHO), der Arbeitsgemeinschaft „Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabilitation und Sozialmedizin“ der Deutschen Krebsgesellschaft (ASORS) und der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für klinische Ernährung (AKE) - Klinische Ernährung in der Onkologie, Aktuel Ernahrungsmed 2015; 40: e1–e74, doi 10.1055/s-0035-1552741
  3. Weimann A et al., S3-Leitlinie Klinische Ernährung in der Chirurgie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) e. V. in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Klinische Ernährung (AKE), der Gesellschaft für Klinische Ernährung der Schweiz (GESKES) und den Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) e. V., Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) e. V., Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) e. V., Aktuel Ernahrungsmed 2023; 48: 237–290, doi 10.1055/a-2104-9792